Digital Detox: Zwischen New Work und Digital Burnout

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Smartphone, soziale Netzwerke und das mobile Internet sind nicht mehr aus dem Leben wegzudenken. Ob wir Pokémons jagen oder abends auf der Couch noch Mails an Mitarbeiter verschicken: Die Digitalisierung ist in unserem Leben angekommen. Und die hat nicht immer nur positive Seiten: Die Dauerberieselung durch soziale Medien und die ständige Abrufbereitschaft per Smartphone sind auf Dauer eine Belastung. Deshalb schalten viele Menschen immer öfter ab, Digital Detox heißt der Trend. Wir befragten drei Experten aus unterschiedlichen Gebieten zu ihren Erfahrungen im Umgang mit den digitalen Medien und ihrem Digital-Detox-Programm.

Grenzenlos durch das digitale Leben

Die Studie „Global Evolving Workforce“ von Dell und Intel zeigt, dass 64 Prozent der Befragten ihre Arbeit hin und wieder mit nach Hause nehmen. 37 Prozent der Arbeitnehmer nutzen private Technologien wie Laptop, Smartphone und Tablet für die Arbeit, 49 Prozent nutzen hingegen auch während der Arbeitszeit Apps, Software und besuchen Websites für persönliche Interessen. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen zunehmend.
Das ständige Surfen lässt uns auch schlechter schlafen. Eine Studie der University of Pittsburgh zeigte, dass 30 Prozent der untersuchten jungen Erwachsenen unter Schlafstörungen leiden. Die Studienteilnehmer verbrachten jeden Tag 61 Minuten in den sozialen Netzwerken und griffen pro Woche 30 Mal auf mehrere Konten zu. Je öfter soziale Medien genutzt werden, umso schlechter schlafen die User. Müssen wir den gesunden Umgang mit den digitalen Medien noch lernen? Gehört die 24/7-Erreichbarkeit zum guten Ton oder macht sie krank? Wir haben drei Experten dazu befragt, wie der New Way of Work funktionieren kann und wie wir einen digitalen Burnout vorbeugen können.

 

Markus Väth: Die Chancen und Herausforderung von „New Work“

Die Digitalisierung macht es möglich, in vielen Berufen von überall und jederzeit zu arbeiten. Das ist eine Chance für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. „Voraussetzung dafür sind allerdings einerseits Investitionen in die technische Infrastruktur auf Seiten des Arbeitgebers und andererseits eine stark verbesserte Fähigkeit zur Selbstorganisation auf Seiten des Arbeitnehmers“, weiß Markus Väth, Psychologe und Autor. Er beschäftigt sich mit den Themen Arbeiten 4.0 und New Work oder auch New Way of Work. Die Idee der Neuen Arbeit wurde bereits in den markus_väth1980er-Jahren vom austro-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt. Der Kern der New Work ist, dass Menschen selbstständig entscheiden, wann und wie sie arbeiten. Mit einer Tätigkeit soll es möglich sein Geld zu verdienen, sich selbst zu verwirklichen und gleichzeitig eine für die Gesellschaft wichtige Aufgabe zu übernehmen.

Digital Detox als Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts

„Die Digitalisierung, neue Führungs- und Managementkonzepte sowie, das darf man nicht vergessen, ein Revival der Kapitalismuskritik machen New Work in der Tat zu einem Erfolg versprechenden Trendthema“, so Väth. Im Einzelnen sieht der Psychologe die Möglichkeit, die „veraltete Präsenzkultur aufzubrechen, die in Deutschland noch immer sehr verbreitet ist“. Warum muss ich einen langen Arbeitsweg auf mich nehmen, wenn ich meine Arbeit auch zu Hause am Schreibtisch erledigen kann? Warum sitze ich mindestens acht Stunden im Büro, wenn ich meine Arbeitszeit lieber auf vier Arbeitstage verteilen möchte? Das Aufbrechen dieser Präsenzkultur wäre ein positiver Aspekt der Digitalisierung; die negativen Aspekte der Digitalisierung sind jedoch schon angekommen. In einigen Branchen ist die ständige Erreichbarkeit der Arbeitnehmer sehr gern gesehen, die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen zunehmend. „Ich persönlich würde immer zumindest einen kleinen, geschützten Bereich des Privaten empfehlen, der von der Arbeitssphäre komplett getrennt ist“, empfiehlt Markus Väth, „sonst stützt man seine Identität als wertvolle Person irgendwann nur noch auf den Beruf.

„Und wer ist man dann noch als Mensch, wenn man gerade nicht arbeitet?“,

fragt er. Auch im Privatleben können viele Menschen das Smartphone nicht mehr aus der Hand legen. Ständig wird die Facebook-Timeline und Mails gecheckt, wir surfen durch das Internet, ohne Ziel und Verstand. „Das Surfen befriedigt auch unsere natürliche Neugier“, so Markus Väth, „was wartet wohl hinter dem nächsten Klick? Und dem nächsten? Und dem nächsten? Schon sind zwei Stunden wie im Flug vorbei“. Pokémon Go ist der neuste Trend, der Menschen in den Bann zieht und so sehr aus der realen Welt zieht, dass sie beim Monster Jagen sogar verunglücken.
„Wir haben diese tollen Spielzeuge namens Internet und Smartphone und probieren mehr oder weniger gezielt den Umgang damit aus“, so Väth, „da sind Fehlentwicklungen, Suchterscheinungen oder Grenzüberschreitungen programmiert“. Jeder muss den maßvollen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten erlernen. Digital Detox ist im Moment ein Trend, um auch ohne den Blick auf das Smartphone entspannt zu bleiben und den Moment genießen zu können. Väth sieht Digital Detox zukünftig als „eine ganz selbstverständliche Kulturtechnik, deren Sinnhaftigkeit wir gar nicht mehr hinterfragen werden“.

Jesta Phoenix: Was will ICH?

Jesta Phoenix ist Coach im Bereich Intuitives Zeitmanagement. Zu ihr kommen häufig „pragmatische Visionäre“, wie sie es nennt. „Sie möchten häufig das Wie und das Was ihres Arbeitens optimieren“, so Jesta. Sie hätten oft zu viele Eindrücke, zu viele Impulse und zu viele Ideen, zu viele Geräusche, zu viele Möglichkeiten, zu viel Netzwerk und zu viele Informationen. Dem gegenüber ständen zu wenig Ruhe, zu wenig Klarheit, zu wenig Fokus und zu wenig Selbstvertrauen, dass es auch auf ihre Art geht. Die Digitalisierung spielt eine Rolle dabei. Trendthemen wie New Work, Home Office und Work-Life-Balance werden in den Medien kontrovers diskutiert. Häufig entsteht dabei das Bild, dass die ständige Erreichbarkeit ein Muss sei.

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Jesta Phoenix: Was will ICH?

 

Vor allem Freelancer gehen davon aus, dass sie für Auftraggeber jederzeit zur Verfügung stehen müssten. Für Selbstständige, die die sozialen Netzwerke nutzen, steht auch die Frage, wann und wie sie die sozialen Medien für die eigenen Interessen nutzen müssen, um erfolgreich zu sein. Jede Stunde ein Tweet auf Twitter und der tägliche Facebook-Post zur Lage der Nation? Abends noch schnell ein schickes Foto auf Instagram, das beweist, dass man auch nach 20 Uhr an einem wichtigen Projekt arbeitet? Was braucht es an digitalen Medien, um erfolgreich arbeiten zu können? Für Jesta Phoenix stellt sich hier zunächst die Frage, durch was ein erfolgreiches Berufsleben eigentlich definiert wird.

„Für Leute wie mich bedeutet es einfach, dass ich morgens aufstehe und mich auf meine Arbeit freue und dass es mir gut geht dabei“,

sagt sie. Sie kenne keinen Menschen, der alle verfügbaren Kanäle der digitalen Medien nutze. Muss man auch gar nicht. „Die meisten erfolgreichen Menschen sind sehr selektiv, in dem was sie nutzen“, erzählt Jesta Phoenix, „sie haben das, was ihnen liegt, herausgearbeitet, und arbeiten dann damit“. Diese Selektion macht auch den gesunden Umgang mit Medien aus. Sie zu verteufeln bringe nichts, so Phoenix. Facebook, die Blogosphäre und Co. hätten schließlich auch ihre Vorteile. Man müsse, empfiehlt die Coach, sich nur Gedanken machen, was man davon haben will. Welche Medien benötige ich und für was nutze ich sie?
Die Bewusstmachung ist ein Schritt in die richtige Richtung und das Konzept von Digital Detox. Auch beruflich ist die ständige Erreichbarkeit weder ein Garant für Ruhm und finanziellen Erfolg, noch immer wünschenswert: Wer klare Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zieht, zeigt damit, dass er sich organisieren kann und sein Zeitmanagement im Griff hat.
„Wenn sie anfangen Grenzen zu setzen, bemerken viele Menschen, dass diese Grenzen meistens auch akzeptiert werden“, so Jesta Phoenix, „allein deshalb, weil man auf die Qualität dieses Menschen und seiner Mitarbeit nicht verzichten möchte“. Die neuen Möglichkeiten der New Work und Digitalisierung sind grenzenlos, aber jeder Einzelne von uns ist dazu aufgerufen, seine eigenen Grenzen abzustecken. „Trauen wir uns, abkömmlich zu sein?“, formuliert die Coach die Herausforderung.

Ulrike Stöckle: Digitalisierung – Die Chancen nutzen und die Risiken kennen

Wer sich nicht traut, ab 18 Uhr keine beruflichen Mails mehr zu beantworten und das Handy im Urlaub auszuschalten, der benötigt früher oder später ein Digital Detox. Ulrike Stöckle ist Diplom-Betriebswirtin und Journalistin. Sie gründete The Digital Detox® Deutschland, ein Tochterunternehmen ihrer Agentur für nachhaltige Kommunikation. Zu den Angeboten gehören Digital Detox-Camps für Teilnehmer, die den gesunden Umgang mit den digitalen Medien (wieder) erlernen müssen. Sie schult aber auch Unternehmen in den Chancen und Risiken der Digitalisierung.

New Work: Digitale Unternehmenskultur muss erlernt werden

„Bis heute haben nur wenige Organisationen diese nachhaltige und rentable Art des Arbeitens vollständig eingeführt“, so Stöckle, „auch wenn viele Unternehmen die Möglichkeit des flexiblen und mobilen Arbeitens anbieten, beinhaltet dies meist nur bewegliche Anfangs- und Endzeiten“. Es bliebe die Kernarbeitszeit und die Unumgänglichkeit der Präsenzkultur. Das Konzept von New Work sieht vor, dass Mitarbeiter von überall und jederzeit arbeiten können. Ein Risiko für Unternehmen?

„Die Digitalisierung der Arbeitswelt eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, um Arbeit flexibler zu gestalten und Mitarbeitern eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen allerdings auch lernen, mit den neuen Möglichkeiten und der Verantwortung sinnvoll umzugehen“,

so Stöckle. Sie sieht einen Vorteil, denn es können Kosten eingespart werden. „Es reduzieren sich die Kosten für Büroanmietungen, denn durch den New Way of Work werden weniger Arbeitsplätze benötigt“, so Stöckle, „Effizienz ist eine sehr wichtige Triebfeder für Unternehmen, die sich zu einer flexiblen Organisation entwickeln.“ Auch der Umwelt komme New Work zugute, denn Mitarbeiter seien schließlich weniger auf den Straßen unterwegs und vermieden so nicht nur Verkehrsstaus, sondern verringerten auch den CO2-Ausstoß. Zur Verschmelzung der privaten und beruflichen Lebensbereiche, auch Work-Life-Blending genannt, gehöre auch das Bring Your Own Device (BYOD) Konzept. Indem private mobile Endgeräte wie Laptops, Tablets oder Smartphones in das Netzwerk des Arbeitgebers und umgekehrt integriert würden, könnten Arbeitsabläufe effizienter gestaltet werden.

Das digitale Burnout vorbeugen

In Seminaren und Vorträgen eröffnet Ulrike Stöckle Unternehmen die Vision des New Way of Work, zeigt aber auch auf, wo die Risiken liegen und wie sie umgangen werden können. „Arbeitnehmer, die ständig erreichbar sind und immer neue Aufgaben übernehmen müssen, leiden nicht selten unter einer steigenden Arbeitsbelastung“, weiß die Trainerin, „die Folge sind zunehmende stressbedingte Erkrankungen wie Burn-Out oder

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Ulrike Stöckle: Digitale Unternehmenskultur muss erlernt werden

Depressionen“. Viele Menschen könnten durch den steigenden Druck nicht mehr von der Arbeit abschalten und denken auch in ihrer Freizeit nur noch an den Job, so Stöckle. Sie nennt es „antrainierte Aufmerksamkeitsstörung“, wenn sich Menschen vor lauter Medien, Entertainment, Informationen und Netzwerken nicht mehr auf die wesentliche Aufgabe konzentrieren können. Es ist der digitale Burnout.

Digital Detox Camp: Zurück zu alter Stärke finden

Wer aus dem Teufelskreis an fehlender Konzentration und der Sucht nach dem nächsten Klick nicht mehr herauskommt, kann in einem Digital Detox Camp lernen, wieder abzuschalten. Die Teilnehmer entspannen sich in einer stressarmen Umgebung, erhalten Experteninput und können in Reflektionsrunden erkunden, wie es zum digitalen Burnout kommen konnte. Das Ziel des Digital Detox Camps ist die „Produktivität und das Wohlbefinden im Alltag zu steigern, Stresssituationen in Beruf und Privatleben zu minimieren und das nächste Digitale Burnout zu verhindern“, so Stöckle. Dabei helfen auch gesundes Essen und Achtsamkeitsübungen, die die Teilnehmer wieder zu sich selbst finden lassen. Wer an sich selbst bemerkt, dass es Zeit für eine digitale Entgiftung ist, sollte die folgenden Digital Detox-Tipps von Ulrike Stöckle beherzigen:

  • Offline in den Tag starten und die ersten Mails erst nach dem Frühstück lesen
  • E-Mail-Öffnungszeiten: Nur zwei bis drei Mal am Tag E-Mails checken
  • Weniger Mails verschicken = weniger Mails erhalten
  • Wenn eine Aufgabe erledigt werden soll, offline gehen und sich ganz und gar der jeweiligen Tätigkeit widmen

Die Digitalisierung ist die vierte industrielle Revolution und genauso wie bei den vorangehenden Revolutionen betreten wir Neuland. Es gilt also die Möglichkeiten auszukosten und die Grenzen nach und nach abzustecken. Dann ist die digitale Welt eine wirkliche Bereicherung und hat das Potential, das (Arbeits-)Leben zu erleichtern.

 

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