Was passiert, wenn wir uns abends zum Schlafen hinlegen? Was verraten uns unsere Träume über unser Seelenleben? Und wofür benötigen wir eigentlich Schlaf? Der Neurologe Guy Leschziner nimmt uns mit auf eine spannende Reise, auf der wir mehr über die Funktionen des Gehirns und des Schlafs erfahren.
Leschziner beobachtet von Beruf aus Menschen beim Schlafen. Er leitet eines der größten Schlaflabore Europas am Londoner Guy’s Hospital. Dort suchen unter anderem Menschen Hilfe, die an Schlafstörungen leiden oder nachts ungewöhnliche Verhaltensweisen zeigen. Während ihres Aufenthalts in dem Schlaflabor werden die Betroffenen engmaschig überwacht, um im besten Fall herauszubekommen, ob eine körperliche oder psychische Fehlfunktion bzw. Auffälligkeit die Ursache für die Schlafstörung ist.
Für Neurologen wie Leschziner ist das eine perfekte Möglichkeit, um nicht nur den Personen selbst zu helfen, sondern auch neue Erkenntnisse über die Funktionen des Gehirns zu erhalten. Besonders spannend sind Läsionen des Zentralnervensystems, die lange Zeit unentdeckt bleiben, aber zu schwerwiegenden Folgen führen können. „Hier experimentiert die Natur; das eröffnet uns allerdings auch Möglichkeiten, Gehirnfunktionen besser zu verstehen und herauszufinden, wie Pannen oder Fehlfunktionen bei der Kontrolle des Gehirns über den Schlaf zu einem Bündel von weiteren Krankheits- oder zumindest Störungsbildern führen“, erklärt er.
Das Gehirn macht, was es will
In seinem Buch „Nachtaktiv. Albträume, das Gehirn und die verborgene Welt des Schlafs“ stellt Leschziner die Geschichten von Patientinnen und Patienten vor, die für Wissenschaftler enorm hilfreich und für Laien mindestens ebenso interessant sind. So stellt er in „Jekyll und Hyde“ Tom vor, der nachts seine Freundin bedrängt und sie zum Sex überreden möchte. Er sucht auf ihre Bitte hin ein Schlaflabor auf und es stellt sich heraus, dass Tom unter einer speziellen Non-REM-Parasomie leidet.
„Das Grundmuster ist dabei stets, dass die Betroffenen aus dem Tiefschlaf nicht vollständig aufwachen“, erklärt Leschziner, „Allem Anschein nach ist es so, dass, aus dem Tiefschlaf geweckt, unterschiedliche Bereiche des Gehirns unterschiedlich wach werden.“ Während die einen in diesem Zwischenbereich aus Schlafen und Wachen klassisch schlafwandeln, sich ein Ei in die Pfanne hauen oder Motorrad fahren (eine weitere Fallgeschichte in dem Buch), springt bei Tom in solchen Situationen das Hirnareal für Begierde an. Diese spezielle Ausprägung nennt sich Sexomnia.
Welche tiefgreifenden Folgen eine solche Schlafstörung hat, zeigt sich hier auch. Diese Parasomien waren womöglich bereits in dem Zusammenleben mit seiner Ex-Freundin vorhanden. Diese zeigte ihn wegen versuchter Vergewaltigung an, nachdem er sie nachts bedrängt hatte. Er wurde verurteilt und musste einen Teil seiner Strafe im Gefängnis absitzen. Die Diagnose „Sexomnia“ stand zu diesem früheren Zeitpunkt nicht zur Debatte.
Auch die weiteren Fallgeschichten mit illustren Titeln wie „Ein seltsamer Dornröschenschlaf“ oder „Die rotierende Augäpfelgalaxie“ geben faszinierende Einblicke in das menschliche Gehirn und Hinweise darauf, was im Schlaf alles möglich ist.
Guy Leschziner: Nachtaktiv. Albträume, das Gehirn und die verborgene Welt des Schlafs
Beltz Verlag, Weinheim 2019.
327 Seiten, 22,95 Euro
ISBN:978-3-407-86556-4