Ob Schule oder Studium, Abschlussreden haben es immer in sich. Wenn ein Lebensabschnitt zu Ende geht, wird abgerechnet und hoffnungsvoll in die Zukunft geschaut. Dabei geht es immer um die eine Frage: Was ist wichtig im Leben?
Wie große Worte im Kleinen wirken
2005 hielt David Foster Wallace die Abschlussrede vor den Absolventen des Kenyon College. Er bereitet die Absolventen darin mit seinem bekannten Humor auf das dröge Dasein im Berufsleben vor und auf die Tatsache, dass alles zumeist anders kommt, als gedacht: Wenig Glitzer, viel Realität. Aber, so der Hauptgedanken seiner Rede: Die wirkliche Freiheit ist nicht der glamouröse Job und das viele Geld, das erst einmal verdient werden will. Es ist die Freiheit, darüber entscheiden zu dürfen, über was es sich zu denken und für was es sich zu leben lohnt. Dieser Gestaltungswille unseres Denkens macht uns lebendig. Mindestens genauso viel Gänsehaut erzeugte die Abschlussrede von Steve Jobs. Seine persönliche und legendäre Rede vor Absolventen der Stanford-Universität hielt auch er 2005. Jobs erzählt darin seine Geschichte, erzählt von seinen Erfolgen, von seinem Scheitern und dem Tod. Berühmt wurde das Zitat „Stay hungry. Stay foolish.“ Jobs und Foster Wallace starben wenige Jahre nach dem Halten dieser Reden, was die großartigen Gedanken und die Selbsterkenntnisse, die diese enthalten, noch heller strahlen lässt. 2016 kam eine weitere Abschlussrede hinzu, die die wichtigen Fragen im Leben behandelt. James E. Ryan hielt als Dekan der Harvard Graduate School of Education seine Abschlussrede. Sie wurde gefilmt, ins Netz gestellt und bisher mehr als acht Millionen Mal angeschaut. Jetzt gibt es die brillanten Gedanken auch als Buch in deutscher Sprache.
Die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt stellen
„Mir geht es darum, zu zeigen, wie wesentlich es ist, sich im Leben immer wieder Fragen zu stellen – die wichtigen und richtigen Fragen – und genau hinzuhören, wenn wichtige und richtige Fragen gestellt werden“, fasst Ryan sein Anliegen zusammen. Er stellt in dem Buch seine fünf wichtigsten Fragen vor:
Wie jetzt?
Mich wundert, warum…
Könnten wir zumindest?
Wie kann ich helfen?
Was zählt wirklich?
Als sein erster Sohn durch einen patenten Arzt auf die Welt kommt, der das Baby wie „ein Kern aus der Olive“ drückt, entfährt Ryan ein „Wie jetzt??“. Es ist ein Nachfragen, ein Sichergehen, ob man auch wirklich verstanden hat, was das Gegenüber gerade gesagt hat. „Wenn wir uns unterhalten, nehmen wir uns leider selten die Zeit, fehlt uns meistens die Muße, um über das Gesagte tatsächlich nachzudenken“, so Ryan, „dadurch verpassen wir oft die Chance, die Bedeutung eines Gedankens, einer Aussage oder eines Ereignisses wirklich erfassen zu können“. Mit der Frage nach dem „Wie jetzt?!“ haken wir noch einmal nach und verstehen oftmals erst wirklich, was Sache ist.
Ganz persönlich begründet Ryan die Wahl seiner Fragen und erzählt von wichtigen Ereignissen in seinem Leben, in denen sie eine Rolle spielten. Wer sich die Fragen immer wieder stellt, erhält eine Selbsterkenntnis, die deutlich macht, um was es wirklich im Leben geht – und das ist nicht der Uniabschluss oder die nächste Gehaltsabrechnung.
Noch mehr Denkanstöße für die Selbsterkenntnis:
James E. Ryan: Wie jetzt?! Und andere entscheidende Fragen des Lebens
Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2018.
171 Seiten, 14,95 Euro
ISBN: 978-3-407-86507-6