Um dem digitalen Rausch von nie endenden Timelines, Gesprächen über WhatsApp oder Netflix-Dauerschleifen zu entkommen, sollten wir ab und zu in uns hineinhorchen. Früher wurde dazu das Tagebuch genutzt. Und heute? Es gibt es wieder, das Tagebuch für Erwachsene.
Das Tagebuch für Erwachsene: Der Blick nach Innen
Curt Cobain, Virginia Woolf und Max Frisch haben eines gemeinsam: Sie schrieben Tagebuch. Ob wirre Gedanken, die unter Drogeneinfluss niedergeschrieben werden, einfache Alltagsbeschreibungen oder der systematische und analytische Blick in das eigene Seelenleben, immer wollen die Schreibenden innehalten, Gedanken mit Tinte festhalten und reflektieren. In der Neuzeit kam das Phänomen des Schreibjournals verstärkt auf. Die bürgerliche Gesellschaft schrieb nieder, wie sich die Welt zum Zeitpunkt der Industrialisierung um sie herum verändert und was die Veränderungen mit ihnen machen. Schließlich wird das Tagebuch für Erwachsene zu einer psychologischen Methode, denn mit dem Aufschreiben von Erlebnissen können diese besser und geordneter verarbeitet werden. Heute schreiben vor allem junge Mädchen Tagebuch. Verwunderlich, wo die bekanntesten veröffentlichten Tagebücher von Erwachsenen wie Johann Wolfgang von Goethe, Thomas Mann oder Susan Sontag stammen. Es scheint Erwachsenen heute zu aufwändig, Stift und Zettel in die Hand zu nehmen – und warum auch? Die schnelle Notiz im Smartphone, das Instagram-Bildertagebuch oder der eigene Blog sind doch auch Gedankenstützen. Das reicht aber nicht.
Aufzeichnungen im digitalen Zeitalter
Auch der Blog oder der Instagram-Account sind keine Lösung, wenn es darum geht, zur Ruhe zu kommen. Das Auseinandersetzen mit der eigenen Persönlichkeit geht über eine „Selbstdarstellung in Form von Tweets, Posts und Performance“ hinaus, so Tom Chatfield. Der britische Autor findet schöne Bücher toll und hält seine Gedanken gern auf Papier fest, „nicht, weil ich in der Vergangenheit feststecke, sondern weil Technologien wie Stift und Papier eine Zeit hinaufbeschwören, die ich sonst nicht hätte.“ Er gestaltete das Buch „Live this book! Das alles bin ich“, ein Tagebuch für Erwachsene. Es ist bunt, steckt voller Zitate und beinhaltet mehr Fragen als Antworten an seinen Nutzer. Es regt zum Nachdenken an, es fördert die Selbstreflexion und es lässt ganz viel Platz zum Schreiben und Notieren von Gedanken und Ideen. Auch wer wenig Zeit hat und nur noch in Twitter-Manier 140 Zeichen-Sätze verfassen kann, sammelt mithilfe dieses Buches Erkenntnisse über sich selbst. Es muss nicht die zarte Kladde und der Federfüllhalter sein, es geht auch anders. Ziel ist es doch immer, sich selbst zuzuhören – ohne Publikum und Likes.
Tom Chatfield: Live this book! Das alles bin ich. 300 Erkenntnisse über mich selbst
256 Seiten, 16,99 Euro
Ariston Verlag, München 2017.
ISBN: 978-3-424-20160-4